A- A A+

Herzlich Willkommen

Aktuelles

Behindertenanwältin Christine Steger war am 05.12. im Interview bei Perspektivenwechsel von OKTO zu sehen. Sie gibt Einblicke in ihren beruflichen Werdegang, der sie schließlich zur Position der Behindertenanwältin führte.  Zudem bespricht sie die im August durchgeführte UN-Staatenprüfung und die sich daraus ergebenden Handlungsempfehlungen für Österreich.

Das vollständige Interview steht unter dem folgenden Link zur Verfügung: Perspektivenwechsel: Christine Steger - First Lady der Inklusion | OKTO

 

Benachteiligung aufgrund des Geschlechts ist nach wie vor an der Tagesordnung

Frauen in Österreich erfahren auch im Jahr 2023 und darüber hinaus Nachteile aufgrund ihres Geschlechts. Sie werden für die von ihnen verrichtete Arbeit schlechter entlohnt als der männliche Teil der Bevölkerung, erhalten in Gesundheitseinrichtungen oft keine optimale Behandlung, haben ein weitaus höheres Risiko aufgrund ihres Geschlechts Opfer von Gewalt zu werden und verfügen über weniger politische Teilhabe, obwohl sie, laut aktuellen Zahlen, etwas mehr als die Hälfte der österreichischen Gesamtbevölkerung repräsentieren. Die Liste der Benachteiligungen, denen Frauen und Mädchen ausgesetzt sind, ließe sich noch weiter fortführen.

Diskriminierung ist mehr als nur die Summe ihrer Teile

Bislang übersehen wird die Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Diese verfügen über mehrere Merkmale, die sie zu Betroffenen von Diskriminierung machen können. Entsprechend sind sie auch vielen verschiedenen Formen der Diskriminierung ausgesetzt, die sich überschneiden und miteinander in Wechselwirkung treten können. Dieses Zusammenwirken wird unter dem Begriff der Intersektionalität beschrieben.

„Frauen mit Behinderungen sind deutlich häufiger als Frauen in der Gesamtbevölkerung von sexualisierter Gewalt betroffen. Häufig ist die Beziehung, in denen diese auftritt, von großen Machtgefällen und Abhängigkeitsverhältnissen geprägt. Entschließen sich Frauen und Mädchen mit Behinderungen, für sich selbst einzutreten, stoßen sie häufig auf beträchtliche Widerstände und Hindernisse. So fehlt es sowohl den zuständigen Behörden und Gerichten als auch einschlägigen Hilfseinrichtungen oft an umfassend barrierefreien und niederschwelligen Zugängen sowie geeigneter Information für Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Gewaltschutz wird dadurch zusätzlich erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht“, erläutert Behindertenanwältin Christine Steger.

"Um die Situation von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen in Österreich zu verbessern, braucht es eine unabhängige Interessensvertretung. Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen müssen in Österreich ein sicheres, sichtbares und selbstbestimmtes Leben führen können. Unser Verein FmB - Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen, gegründet im Frühjahr 2023, setzt sich dafür ein", erklärt Heidemarie Egger, Gründungsmitglied und Vorsitzende von FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen.

Mangelndes Wissen und großer Nachholbedarf

In Artikel sechs der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, verpflichten sich die Vertragsstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Förderung, Entfaltung und Stärkung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu ergreifen.

Der UN-Fachausschuss kritisierte in seinen abschließenden Bemerkungen anlässlich der letzten Staatenprüfung im August dieses Jahres, dass es in Österreich keine Mechanismen und Verfahren zur Bekämpfung von Mehrfach- und intersektionaler Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen gibt. Daneben hebt er hervor, dass es an Daten zur Situation dieser Bevölkerungsgruppe auf Bundes- und Landesebene mangelt. Er betont außerdem, dass Gesetze, die zur Gleichstellung der Geschlechter erlassen werden, die Behinderungsperspektive nicht berücksichtigen und vorhandene Maßnahmen zur Schaffung von Gewaltpräventions- und Schutzmechanismen für Frauen und Mädchen mit Behinderungen unzureichend sind. Dazu kommt, dass diese kaum in die Ausarbeitung und Durchführung von Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Konvention einbezogen werden.

Stärkung und Unterstützung sind gefordert

„Der Fachausschuss hat bei der Staatenprüfung klar angemerkt, dass spezifische Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderungen unabdingbar sind, zur Umsetzung der UN-BRK. Aufgrund der Mehrfach- und intersektionalen Diskriminierung sind spezifische und wirksame Maßnahmen für diese Zielgruppe unerlässlich. Diese müssen bedarfsgerecht, öffentlich finanziert und partizipativ sein. Engagierte Initiativen von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, wie FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen, sind in Österreich vorhanden. Sie bedürfen allerdings ausreichender Unterstützung und dürfen keineswegs ein Ersatz für fehlende Maßnahmen von öffentlicher Seite sein. Wer die Menschen mit Behinderungen zustehenden Rechte ernst nimmt, muss auch Frauen mit Behinderungen stärken“, appelliert die Behindertenanwältin an politische Entscheidungsträger*innen.

Die Umsetzung eines Urteils bringt Verbesserungen, allerdings ist die Ausführung nicht weitreichend genug.

Das Handelsgericht Wien hat im Mai 2023 klar festgestellt, dass die bis dahin geltenden Zugangsvoraussetzungen zu Persönlicher Assistenz im Bildungsbereich diskriminierend waren. Ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung sah vor, dass Persönliche Assistenz Schüler*innen an Bundesschulen mit Körperbehinderung und hohen Pflegegeldstufen vorbehalten war. Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten, psychosozialen Behinderungen oder geringerem Pflegebedarf wurde der Zugang zu Persönlicher Assistenz vorenthalten.

Als Reaktion auf das Urteil wurde die Persönliche Assistenz an Bundesschulen kürzlich mit einem Erlass des Bildungsministers neu geregelt. Diese kann nun auch von der vorher ausgeschlossenen Personengruppe in Anspruch genommen werden. Der Pflichtschulbereich ist jedoch ausdrücklich nicht von der neuen Regelung umfasst.

Bislang hat das Bildungsministerium diese neue Regelung noch nicht breit kommuniziert. Damit Menschen mit Unterstützungsbedarf dieses Unterstützungsangebot auch in Anspruch nehmen können, müssen sie über die Änderungen informiert werden – und zwar umfassend.

Chancengleichheit braucht Unterstützung

„Der aktuelle Erlass des Bildungsministeriums ist zu begrüßen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie dieser umgesetzt wird. In Kindergärten und Pflichtschulen erhalten die Kinder und Jugendlichen Unterstützungsleistungen durch die Länder und Gemeinden. Dabei gibt es hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen und des Umfangs der vorhandenen Angebote große Unterschiede. Die Verbesserungen, die der neue Erlass mit sich bringt kommen also nur einem Teil der Menschen mit Unterstützungsbedarf in Bildungsbereich zugute“, erklärt Behindertenanwältin Christine Steger. „Hinzu kommt, dass in der neuen Regelung vorgesehen ist, die Unterstützung von Kindern aus dem Bereich Autismus zu deckeln. Das ist absolut nicht mit den Zielen der UN-Konvention im Hinblick auf angemessene Vorkehrungen zu vereinbaren und daher abzulehnen. Assistenz und Unterstützung im Schulbereich muss bedarfsgerecht, passgenau und anlassbezogen zur Verfügung gestellt werden.“

Ausgrenzung ist an der Tagesordnung

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten. Dieses soll es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, ihre Fähigkeiten, Kreativität und Fähigkeiten voll zur Entfaltung zu bringen.

„Der Verwirklichung dieser Verpflichtung steht entgegen, dass das österreichische Bildungssystem noch immer in weiten Teilen von Ausgrenzung geprägt ist. Das System der Sonderschulen, dass in Österreich selbst im 21. Jahrhundert noch hartnäckig aufrechterhalten wird, führt zwangsläufig zur Stigmatisierung von Schüler*innen mit Unterstützungsbedarf. Diese Ausgrenzungserfahrungen und mangelnde Unterstützung führen oft dazu, dass ein sonst erreichbarer höherer Bildungsabschluss verunmöglicht oder gar nicht erst angestrebt wird. Das widerspricht eklatant den Zielen der UN-Konvention“, führt Steger aus.

Kooperation führt zu Inklusion

Wie kann Chancengleichheit im Bildungsbereich gewährleistet werden? Eines steht fest: Da Bund, Länder und Gemeinden in diesem Bereich zusammenwirken, bedarf es ihrer intensiven Zusammenarbeit, um die notwendigen Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Dies stellen auch die Handlungsempfehlungen des UN-Fachausschusses nach der zweiten Staatenprüfung klar: Die Länder messen den Zielen der Konvention kaum oder zu wenig Bedeutung bei.

„Der Weg zu dem Ziel eines diskriminierungsfreien und inklusiven Bildungssystems für alle ist noch weit. Die Annäherung daran gleicht aufgrund großer Beharrungskräfte meist einem Hindernislauf. Die Öffnung der Persönlichen Assistenz im Bildungsbereich ist dabei ein wichtiger und überfälliger Schritt in die richtige Richtung“, so die Behindertenanwältin.